Liebes Auditorium, sehr
geehrte Damen und Herren,
willkommen zum zweiten Vortrag im Rahmenprogramm zur laufenden
Sonderausstellung „Glas 1990“. Heute bin ich als Referent dran und
möchte wie angekündigt über „Forschungen über die Glasindustrie anhand
der Treuhand-Akten“ sprechen. Der Tag der deutschen Einheit mag hierfür
einen erdrückenden gewichtig-feierlichen Hintergrund abgeben. Aber auch
kleinteilige Forschungen haben ihre Sinnhaftigkeit und belegen die
Beiträge, die Museen leisten können. Anna Kaminsky, Bundesstiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur formulierte: „Historisches Wissen ist die
beste Medizin gegen den nach wie vor verbreiteten Einheitsfrust“. Nun
ja, auch meine Recherchen zeigen durchaus weiterhin eine
Verlustgeschichte bei vielen betroffenen Akteuren und die Folgen der
Privatisierung bzw. ihrer Versuche beschädigten zweifellos insbesondere
die Kultur der manuellen Glasherstellung, die wir heute als
immaterielles Kulturerbe bewahren wollen.
Mein Name ist Georg Goes. Ich bin Historiker und wurde vor zwanzig
Jahren mit einer Arbeit zum Thema „Arbeitermilieus in der Provinz. Die
Geschichte der Glas- und Porzellanarbeiter im 20. Jahrhundert“
promoviert. Nach einem wissenschaftlicher Volontariat und der Mitarbeit
beim Deutschen Porzellanmuseum in Oberfranken wechselte ich zum hiesigen
Museum Baruther Glashütte, das ich seit vielen Jahren zusammen mit dem
Glasstudio als Museumsleiter betreuen darf.
 |
 |
|
|
Leuchter Weißwasser, Entwurf u. a. Horst Gramß |
Flacon, Weißwasser, Schliff Heinz Schade |
Wolfgang-Rüdiger Knoll, Doktorand am Institut zur Zeitgeschichte, sprach
hier vor einem Monat über seine monografischen Forschungen „Zur
Geschichte der Treuhandanstalt in Brandenburg zwischen 1990 und 1994“.
Ihn möchte ich mir zum Vorbild nehmen und Ihnen vor der Behandlung des
konkreten Falles der Glasindustrie und der Vorstellung einiger
Ergebnisse meiner Sichtungen einige grundlegende Information zur
Geschichte der Treuhandanstalt und zu aktuellen Forschungen und
Debatten geben.
Lassen Sie mich mit Informationen zur Aktenlage zur Treuhandanstalt im
Bundesarchiv beginnen.
Zuständig für die Akten der Treuhandanstalt und ihrer 1995 gegründeten
Nachfolgeorganisation, der „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte
Sonderaufgaben“, sind die Historikerin und Archivarin Dr. Maria von
Loewenich und ihr Team. Sie bewahren die Quellen zur Transformation der
Wirtschaft in Ostdeutschland für die öffentliche Nutzung. Die
gesellschaftliche Bedeutung der Treuhandüberlieferung wird darin
deutlich, dass das Bundesarchiv 25 Prozent der Akten der THA übernommen
hat, während bei übrigen Bundesbehörden nur 15 Prozent üblich sind. Die
Treuhandakten sind seit 2017 geöffnet. Dies erfolgte wesentlich auf
Initiative des ehemaligen ostdeutschen Bundestagsabgeordneten Richard
Schröder, SPD. Die Akten mit der Signatur „B412“ umfassen 45
Regalkilometer. Davon werden 25% „wegen großen öffentlichen Interesses“
übernommen, so dass dauerhaft 170.000 Akten bewahrt werden, das sind 12
Aktenkilometer, was immer noch den größten Einzelbestand im Bundesarchiv
darstellen wird.
Den Archivarinnen und den Nutzenden fällt immer wieder die redundante
Aktenüberlieferung auf, d.h. verschiedene Stellen in der Berliner
Zentrale und den Regionalbüros haben unabgestimmt Akten produziert und
ohne festes Regelwerk häufig doppelt abgelegt.
Die Nutzung der Treuhandakten wird auf Antrag freigegeben, wenn dem
keine Rechte Dritter entgegenstehen oder Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen negativ betroffen sind. Trotz der
Öffnung des Bestandes gilt die 30-Jahres-Schutzfrist weiterhin, weshalb
die Archivarinnen mit besonderer Sorgfalt die Akten vor der Nutzung
vorbereiten, sichten und paginieren und ggf. die Nutzung versagen, was
bei einigen von mir bestellten Akten der Fall war.
Nach diesen Informationen zur Überlieferung möchte ich noch über die
Struktur der Treuhandanstalt und ihrer Ziele einige Hinweise geben. Die
THA wurde im März 1990 noch vom Runden Tisch in der DDR gegründet. Beim
Treuhandgesetz, verabschiedet am 17. Juni 1990, ging es schon weniger um
die Bewahrung des „Volksvermögens“, was eigentlich das Ursprungsziel des
Runden Tisches und einer Treuhand war, sondern im Wesentlichen um die
Privatisierung der VEBs bzw. die Entstaatlichung der Wirtschaft.
Die Treuhand ist sicher eine schwer zu fassende Institution. Formell war
sie eine Behörde. Sie wurde aber auch mit einer Unternehmensholding
verglichen.
Die Treuhand hatte zu Beginn ihrer Tätigkeit mit einem Verkaufserlös von
600 Mrd. DM gerechnet. Tatsächlich schloss sie 1994 ihre Tätigkeit mit
einem Verlust von 250 Mrd. DM ab. Allein die Sozialpläne bzw.
Abfindungen hätten, heißt es, 11 Mrd. DM gekostet. [Rohwedder: Kosten
400 Mrd. Euro abzüglich Privatisierungsgewinn].
Die Rekrutierung des Treuhandpersonals verlief über unterschiedliche
Wege. Während im Direktorat und im Verwaltungsrat bis auf den
„Glas-Direktor“, Detlef Scheunert, bzw. einen Gewerkschafter nur
Westdeutsche arbeiteten, waren die Mitarbeitenden zu 2/3 Ostdeutsche,
von denen viele zuvor im Industrieministerium der DDR und der
Staatlichen Plankommission gearbeitet hatten. Der Höchststand der
Treuhandbelegschaft lag bei etwa 4.000 Mitarbeitenden, von denen, wie
gesagt, etwa 2.400 Ostdeutsche bzw. ehemalige DDR-Bürgerinnen waren.
Die THA war strukturell an die Politik und die Ministerialverwaltung des
Bundes und der Länder gebunden. Das heißt, verschiedene Akteure und
Institutionen beeinflussten die Treuhand-Entscheidungen, weshalb es
nicht sinnvoll ist, die Treuhand-Anstalt zum „Blitzableiter“ für
Verluste und Zumutungen nach 1990 zu machen, vielmehr müssen
Verantwortungen und Zuschreibungen gestreut werden.
Im Verwaltungsrat, der den Treuhand-Vorstand überwachen und unterstützen
sollte, saßen neben Ministerpräsidenten, Vertreter von in der Regel
großen west-deutschen Unternehmen und auch vier Spitzenfunktionäre der
Gewerkschaften.
Der Leitungsausschuss hatte u. a. die Aufgabe, die Sanierungsfähigkeit
größerer Unternehmen zu überprüfen. Dem Leitungsausschuss gehörten
Wirtschaftsprüfer, Finanzmanager und Bankexperten an. Zitat aus der
Studie des Historikers Marcus Böick „Und das ist eigentlich auch das
wichtigste Feld meiner Meinung nach: gerade die Bewertung der
Unternehmenskonzepte im Leitungsausschuss, die durch die
Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater passiert. Das ist eine wichtige
Weichenstellung, die man nicht unterschätzen soll. Weil hier wird auch
mit darüber entschieden: Ist ein Unternehmen privatisierungsfähig oder
muss es abgewickelt werden? Und das ist bis heute so ein Feld, das ein
bisschen im Halbschatten liegt, aber sehr wichtig für die Praxis ist.“
Nach einer extrem marktwirtschaftlich geprägten Anfangsphase wurden die
Maßnahmen der THa seit April 1991 gewerkschaftlich flankiert (so
genannte „Gemeinsame Erklärung“). Man gründete in diesem Zusammenhang
Beschäftigungsgesellschaften.
Im Herbst 1991 wurde Treuhand-Chef Detlef Rohwedder ermordet. Eine Tat,
die bis heute noch nicht aufgeklärt ist. 1993 kippte die öffentliche
Wahrnehmung des Wirkens der THA weiter ins Negative: Man wendete sich
gegen das Prinzip „Versöhnung durch Geheimhaltung“ und setzte im
Bundestag einen Treuhanduntersuchungsausschuss ein. Damals, im Jahr
1993, streikten die Kalikumpel in Bischofferode und man entlarvte die
Prophezeiung der „Blühenden Landschaften“ als legendäres Ziel. Schon
vor diesem Tiefpunkt der Wertschätzung der Treuhand-Arbeit gab es
Reaktionen auf Kritik, indem stärker sozialpolitisch abfedernde
Maßnahmen ergriffen wurden. Auch wurden Vertragspartner der Treuhand
bzw. Neueigentümer mit Auflagen bzw. Strafen belegt, wenn Sie
vereinbarte Beschäftigtenstärken und den Fortbestand des Betriebes
nicht gewährleisteten, was man Pönalisierung nannte. 1993 (?) wurden
Auffanggesellschaften gegründet und es kam zu einer teilweisen
Rückabwicklung bereits erfolgter Privatisierung.
Veröffentlichung zur Treuhandgeschichte
Durch die Öffnung der Akten und mutmaßlich auch wegen des 30jährigen
Jubiläums der Deutschen Einheit und der Gründung der Treuhand vor 30
Jahren sind zuletzt zahlreiche Bücher zur Treuhandgeschichte
veröffentlicht worden. Einige Buch-Cover sind abfotografiert.
Journalistisch und explizit nicht klischeehaft ist die Arbeit von
Norbert F. Plötzl „Der Treuhand-Komplex“. Plötzl zitiert als einer der
frühesten Autoren aus dem relevanten Bestand „B412“ im Bundesarchiv.
Plötzl betont die Rolle der Treuhand als „Sündenbock“ und wurde medial
stark rezipiert. Auf der wissenschaftlichen Seite war der Bochumer
Historiker Marcus Böick mit seiner Analyse zu internen Strukturen und
ideellen Grundlagen der Treuhand ein Pionier. Böick nimmt die
Erfahrungen des Treuhand-Personals in den Blick. Ein Beispiel für eine
wenig quellenbasierte und Mythen wiederholende Studie ist das Buch „Das
Treuhand Trauma. Die Spätfolgen der Übernahme“, das die Soziologin Yana
Milev vorlegte. Für Milev gab es keine „erfolgreiche Transformation“.
Vielmehr habe die Treuhand eine „Kulturkatastrophe“ erzeugt. Die
Treuhand betrieb, so Milev, eine neoliberale Annexion.
Nun: Eigene Forschung/Fallbeispiel der Glasindustrie
Bisher ist die Glasbranche, deren Kultur und Geschichte sich unser
Spezialmuseum verschrieben hat, für die Zeit ab 1990 quellenbasiert noch
nicht erforscht worden. Insofern fallen differenzierte Bewertungen
naturgemäß schwer. Die Betriebe, zu denen ich Quellen suchte, sind vor
allem die Teile des ehemaligen Kombinats VEB Lausitzer Glas. Zusätzlich
habe ich Akten des Kombinats Technisches Glas in Ilmenau und seines
Nachfolgers der Glasring Thüringen AG eingesehen. Zur Glasring AG
gehörte auch die Thermos GmbH, die schon dem Namen nach einen Bezug zum
hier geborenen Erfinder Reinhold Burger hat, der das Gebrauchsmuster „Thermos“
1904 angemeldet hatte. Flankierend habe ich im Landeshauptarchiv in
Potsdam Akten der Staatskanzlei und des Wirtschaftsministeriums
eingesehen. Geplant sind weitere Einsichtnahmen des Bestandes des
Treuhanddirektors Detlef Scheunert im Bundesarchiv sowie der
gewerkschaftliche Überlieferung der IG Chemie, die im Ruhrinstitut in
Bochum verwahrt wird. Insofern kann die heutige Darstellung nur ein
Schlaglicht auf das Thema werfen. Auch die Ausstellung, die noch bis
Mitte November zu sehen sein wird, wählte durchaus etwas willkürlich
Gläser und Überlieferungen der Werke Döbern, Großräschen, Langewiesen,
Ottendorf, Reichenbach, Rietschen, Schwepnitz, Tschernitz und Weißwasser
aus und bildet somit nicht das gesamte Glasschaffen auf dem Gebiet der
früheren DDR ab.
Auch bei einem noch unscharfen Quellenüberblick muss dieser Vortrag
bemüht sein, keine einseitigen Stereotype über die Arbeit der Treuhand
zu bedienen. Leider konnte ich in der Überlieferung nur punktuell die
Erfahrungsperspektive vor Ort in den Glasbetrieben finden, wie es der
Anspruch eines Sozial- und Technikmuseums sein sollte. Anzustreben sind
ja durchaus „differenzierte Blicke in lokale Mikrokosmen“. Seltener
finden sich in den Akten Produktfotos und bildliche Dokumentationen von
Betriebsanlagen und Werkswohnungen. Einige Funde gab es dennoch.
Die Ausgangslage der Glasindustrie im Jahr 1990. Für Historiker*innen
ist es immer problematisch, feste Wendepunkte und zeitliche Zäsuren zu
setzen. Strukturen sind beständig und von langer Dauer und häufig auch
systemübergreifend. So war die über 100 Jahre alte Charakteristik der
Glasindustrie, dass sie sich fast immer an Orten punktueller Industrie
befand, auch noch 1990 anzutreffen. In Brandenburg waren auch viele
andere Branchen von solitären oder monostrukturierten Produktionsstätten
geprägt, was Anpassungen und Stilllegungen für die Beschäftigten und
die Gemeinden umso folgenschwerer machte.
Noch einmal lassen Sie mich übergreifende Zahlen voranschicken:
Zu Beginn der Treuhandtätigkeit hatte die ostdeutsche Industrie
insgesamt etwa 4 Mio. Arbeitsplätze. 1994 waren es noch 1 Mio.
Arbeitsplätze. Mehrere Forschende an Treuhandthemen haben aber betont,
dass der Beschäftigtenverlust in der Landwirtschaft, wie sie für unseren
Ort Baruth bestimmend war, noch höher ausfiel.

In der Kritik der Treuhand schwingen immer auch Legenden mit, z. B. die,
dass die DDR die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt gewesen sei.
Eine Rangfolge von nationalen Glasindustrien um 1990 vermag ich hier
nicht zu geben, gleichwohl gibt es Zahlen, die die Produktivität
zwischen den ostdeutschen und den westdeutschen Glasfabriken um 1990
vermitteln:
Beschäftigtenzahlen in der
Glasindustrie, primär aus Jahresberichten des Bundesverbandes Glas
|
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
Westdeutschland |
68.000 |
|
70000 |
65000 |
62000 |
Ostdeutschland |
34.200 |
20351 |
15236 |
9000 |
8000 |

Nehmen wir das Beispiel der Glasstadt Weißwasser, so sank die
Beschäftigtenzahl im Spezialglaswerk bis 1994 auf nur noch 128 von
ehemals 1300 Beschäftigten, d.h. nur 10 Prozent hatten zum Zeitpunkt der
Auflösung der Treuhand noch einen Arbeitsplatz in ihrem alten Betrieb.
Dies zeigt, dass es sinnvoll ist, ortspezifische Zahlen zu gewinnen.
Im Vergleich noch dramatischer war der Beschäftigungsverlust in der
Braunkohleindustrie auf etwa 7 Prozent.
[1989 arbeiteten 75000
Menschen in der Braunkohle, 1999 waren es noch 5.600. (Kontext:
Bundesdeutscher Stromvertrag – „Kein Strom ohne Kohle“). 1994 Verkauf
des Lausitzer Reviers.]
Der Rückgang der Beschäftigtenzahlen in der Glasindustrie innerhalb von
vier Jahren auf ein Viertel könnte als ein Misserfolg der Treuhand- und
Privatisierungsarbeit gewertet werden. Blickt man aber auf die
Produktivitätssteigerung der ostdeutschen Glasindustrie von 1990 bis
1994, so ist deren Verdreifachung wiederum ein betriebswirtschaftlicher
Erfolg. Auch die Umsatzsteigerungen waren erstaunlich: Nach Zahlen des
statistischen Landesamtes des Landes Brandenburg verdoppelte sich der
Umsatz im Glasgewerbe zwischen 1991 und 1994.
Die Wahrnehmung der Entlassenen war düster. Trotzdem muss mit Blick auf
die dramatischen Einbrüche in der Beschäftigung, die weitgehend mit dem
branchenübergreifenden Beschäftigungsrückgang korrelieren, betont
werden, dass es sich bei den Zahlenangaben nicht allein um in der
Produktion Beschäftigte und Verwaltungsmitarbeiter handelte, sondern
dass die Glaswerke viele Tätigkeitsfelder hatten, die heute bei den
Kommunen angesiedelt oder wieder privatisiert sind. Ich denke hierbei an
die Kitas, das Wohnungswesen oder die Polykliniken. Einige
Beschäftigtengruppen wie Betriebshandwerker, Schildermaler und
Näherinnen erschienen nicht mehr relevant für die Glasproduktion und
erfuhren früh eine Entlassung. Dieses „Nebengewerbe“ hatte einen Anteil
an der Gesamtbelegschaft von ca. 50 Prozent. Das Fall-Beispiel von
Annahütte zeigt eine typische Abhängigkeit der Gemeinde von einer
Fabrik: Dieses Phänomen wollten wir in der Ausstellung durch ein
Straßenschild „Glashüttenstraße“, das durch die Betriebsstilllegung
seine Bedeutung verloren hatte, dokumentieren. Den Wert der Assets,
also der betriebseigenen Grundstücke und Einrichtungen unabhängig von
den eigentlich Produktionsanlagen kann man schwer quantifizieren.
Vermutlich war gut ein Zehntel der Grundstücksflächen im Besitz der zu
privatisierenden GmbHs mit Werkswohnungen und Sozialeinrichtungen
belegt – im Falle der Saxonia Schwepnitz GmbH zum Beispiel 10.000
Quadratmeter.

Straßenschild, Leihgabe B. + D. Schaich
Voraussetzung eines flankierenden Engagements von Kommunen und
Landesbehörden war die Altlastenfreistellung und die
Investitionsförderung durch die Treuhand bzw. Ihres Nachfolgebetriebs.
Die Sanierungsfirma Gesa hat stinkende Phenolgruben, die Abfälle der
Gasgeneratoren der Glasindustrie und andere Abwässer aufgenommen hatten,
zur Freude der Anwohner saniert.

Erste Sanierungsversuche einer Phenolgrube bei Tschernitz,
nach 2000
Eine Branchenübergreifende Darstellung von Abfindungen im Rahmen von
Sozialplänen ließ sich bisher noch nicht finden. Die absoluten
Sozialplankosten erschienen im Falle des Glaswerkes Rietschen mit
600.000 DM recht hoch. Umgerechnet standen jeder Arbeitnehmerin jedoch
nur knapp 5.000 DM zu. Die Beschäftigten der Glasindustrie sahen sich
häufig mit einer sozial abgefederten Entlassung bzw. Frühverrentung mit
55 konfrontiert [Beispiel …. ]. Bevor die Sozialpläne vereinbart waren,
gab es in den Betrieben und unter den Beschäftigten große Besorgnis, die
Löhne zahlen zu können. Die Treuhand mit dem Direktorat „Arbeitsmarkt
und Soziales“ erläuterte den Geschäftsleitungen der neuen GmbHs, dass
die Zweckzuwendungen der Berliner Anstalt und deren Verteilung
ausschließlich dem Unternehmen überlassen blieben. Die schwierige
Aufgabe, einen Sozialplan zu erstellen und einen Interessenausgleich zu
finden, übertrug die Treuhand also der betrieblichen Ebene, auch in der
Glasindustrie.
Die Betriebsratsvorsitzenden forderten bei der Treuhand die
Bereitstellung der Mittel ein. Im Falle des VEB Döbern schaltete sich
auch der Hauptvorstand der IG Chemie ein und forderte
Treuhand-Glas-Direktor Scheunert, sich direkt mit der
Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung zu setzen. Davon versprach man
sich, Zitat, „Eskalation der Lage in Döbern zu vermeiden“.
Das verbliebene Viertel der in der 1994 Glasindustrie Beschäftigten
konnte die Bruttolöhne in der Zeit des Bestehens der
Treuhandgesellschaft offenbar verdoppeln, was aus der Landesstatistik
Brandenburg zu erlesen ist.
Dies wäre also als ein Erfolg auch der Treuhandanstalt zu verbuchen.
Ebenso mag man Leistungen der Treuhandanstalt und der von ihr
beauftragten Sanierungsunternehmen darin sehen, dass sie für
potentielle Investoren im alten Branchenzusammenhang, aber auch zur
Ansiedlung von Folgegewerben kontaminierte Flächen entgiftet hat.
Bezogen auf die Glasindustrie in Weißwasser findet sich: Zitat - „Zum
Grund und Boden der LGW gehört auch die Deponie Philipine, die die
Industrie des Landkreises Weißwasser bis 1990 als Endlagerstelle für
giftige Stoffe aller Art genutzt hat. … Ein Gutachten geht von einem
geschätzten Sanierungsaufwand von 80 Mio DM aus.“
Die Bewertung der Betriebe nahmen in der Regel Unternehmsberater vor. Im
Falle der Lausitzer Glasindustrie waren zum Beispiel die Beratungsfirmen
Elecon oder Schneider & Partner tätig. Ihre Einschätzung wurde in eine
Art Notenraster überführt. Die Folie zeigte die Bewertung des Glaswerks
Schönborn.

Betriebswirtschaftliche THA-Bewertung, Glaswerk Schönborn
Im Falle des Glaswerks Rietschen reichte eine Unternehmerin aus der
Keramikindustrie mit einem Mutterstandort in Höhr-Grenzhausen ein
Sanierungskonzept ein. Sie plante, nach drei Jahren den break-even point
zu erreichen. Notwendig sei der Aufbau eines Vertriebes. Alle Maßnahmen
erzeugten einen Sanierungsbedarf in Höhe von 2,5 Mio. DM. Die Investorin
wollte am anspruchsvollen Design in hoher Qualität festhalten.
Welche Artikel die Investorin meinte, mag der Blick in eine Vitrine, die
dem Glaswerk Rietschen gewidmet ist, andeuten.

Produkte des Glaswerk Rietschen, um 1985
Entgegen dem Klischee der Investoren mit rein technik- und
vertriebsbezogenen Blickweisen betonte diese Kaufinteressentin, Zitat:
„Da das einzige Kapital des Betriebes, welches ausgebaut werden soll,
in der Qualifikation und der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter auf
der Grundlage der handwerklichen Tradition besteht, muss gewährleistet
sein, dass der Betrieb in dieser Übergangsphase weiter produziert.“
Eine ähnliche Betonung eines weichen Faktors nahm ein anderer Investor
vor. Er wollte an der vorbildlichen zentralisierten Berufsausbildung
der Glasmachenden in der DDR festhalten und sie in Rietschen als
Geschäftsmodell pflegen. Zusätzlich böte sich die Möglichkeit, die
zentralisierte Berufsausbildung der Mundglasmacher für den Osten
Deutschlands weiter fortzuführen.

Berufsausbildung und Berufsstolz in der DDR
Becher: „Leistungsvergleich“, Döbern 1982
Auch diese Planung, Ausbildungsstätten zu bewahren, konnte nicht
umgesetzt werden. Nach der Schließung der Bärenhütte gab es in
Ostdeutschland keine im Mundblasverfahrenen produzierende Fabrik mehr –
sieht man von der touristischen Glashütte Harzkristall ab, die
eigentlich wie wir ein Glasstudio ist.
Eine Hypothek für die neuen Betriebsleitungen war zweifellos, das den
Fachleuten vor Ort, Glasmachenden, Ingenieuren und Gestalterinnen eine
Übersicht über den Markt fehlte. Dies lag daran, dass in der DDR der
Vertrieb in das „nicht-sozialistische Ausland“ über selbständige
Handelsorganisationen abgewickelt wurde. Die Exporte bzw. Gewinne in
die NSW-Länder wurden nicht mit den Produzenten verrechnet. Die
Handelsbetriebe wurden, wenn ich es richtig überblicke, getrennt von
den Fabriken privatisiert.
Auch nach der ursprünglichen betriebswirtschaftlichen externen Analyse
und Ermittlung des Firmenwertes begleiteten die Wirtschaftsprüfer die
Treuhand, indem sie mitunter davon abrieten, Unternehmensplanungen der
neuen Geschäftsführungen zu akzeptieren. Es ist überliefert, dass die
Treuhandmanager für eine schnelle Privatisierung belohnt wurden. Bezogen
auf die Glasindustrie konnte ich hierzu noch keine Belege finden.
Eine große Hypothek auch der jungen Glas-GmbHs war das Wegbrechen des
Umsatzes in Osteuropa, die dortige Konkurrenz sowie die höheren
Lohnkosten im Vergleich zu Tschechien und Polen, die auf die
Währungsunion von 1990 zurückzuführen war. In der Sonderausstellung
haben wir die Geldscheine Ost- und West gegenüberstellt. Detlev
Rohwedder hat die Währungsunion zum Juli 1990 mit Blick auf die
Konkurrenzfähigkeit der ostdeutschen Betriebe scharf kritisiert. Die
Währungsunion im Juli 1990 war politisch gewollt, ökonomisch aber
problematisch für die ostdeutschen Betriebe in der Privatisierungsphase.
»Die Währungsunion musste in den Ruin führen« formulierte
Treuhand-Direktor Scheunert, in Einigkeit mit seinem Chef. Trotz der
weiterhin erheblichen Lohnunterschiede zwischen Ost und West, näherten
sich die ostdeutschen Löhne denen in Frankreich an. Gegenüber den
klassischen »Glasländern« Polen und Tschechien war man, wie gesagt,
nicht mehr konkurrenzfähig. In Tschechien hatte man länger an manuellen
Fertigungsverfahren festgehalten und aus mangelhaften
Rationalisierungsmaßnahmen einen Wettbewerbsvorteil erzeugt (Wasmuth).
Der besondere Weg der Coupon-Privatisierung in Tschechien hat die
dortige Glasindustrie aber nicht von einer großen Krise ab 2001
bewahrt. 2008 wurde der Großbetrieb Crystalex geschlossen, was in der
Region Nový Bor zu einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent führte.
[Der Umtauschkurs wurde speziell gestaffelt – Sparguthaben von
Erwachsenen über 6.000 bzw. 4.000 Mark wurden zum Kurs 2:1 gewechselt,
Schulden wurden ebenfalls halbiert. Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten,
Mieten und Pachten sowie weitere wiederkehrende Zahlungen stellte man
zum Kurs von 1:1 um].
Trotz der vereinheitlichen Struktur der volkseigenen Industrie und
Planwirtschaft, sind in der Privatisierungsphase allgemein und auch in
der Glasindustrie im speziellen viele ortspezifische und auch
personenbedingte Sonderwege gegangen worden. Manche Akteure scheinen in
den Quellen auf, die sich als Gewerkschafter, Betriebsdelegierte oder
auch Betriebsleiter engagiert und vehement für ihren speziellen
Standort eingesetzt haben. Nehmen wir einen Brief aus Weißwasser von
Bernd Jakobskötter an Treuhandpräsidentin Breuel persönlich: Zitat - „Weißwasser
ist als eine Stadt der Glasherstellung im Osten Deutschlands auch
international bekannt. Deshalb sollte die Treuhandanstalt nun die
erforderlichen Investitionen genehmigen, um diesen Industriezweig hier
auf eine solide und den Marktbedingungen entsprechende Basis stellen zu
können. Wir bitten Sie, Ihre Entscheidung in diesem Sinne zu treffen.“
Ich gehe davon aus, dass ein Referent aus dem Breuel-Apparat geantwortet
haben wird. Es könnte eine schöne Edition ergeben, solche Bitt- und
Beschwerdebriefe mit dem Ziel des Standorterhaltes zusammenzustellen und
gleichsam als Cahiers doleances des industries auch zeitübergreifend
bezogen auf die Glasindustrie zusammen zu stellen. In eine solche
Sammlung gehörte auch der Brief des Schwepnitzer
Betriebsratsvorsitzenden an einen höheren Mitarbeiter in der
Treuhandanstalt: Man dürfe den Schwepnitzer Standort der Saxonia Glas
GmbH keinesfalls zugunsten des Döberner Standortes liquidieren, da
dieser anerkannte Produkte der manuellen Pressglas- und
Schleuderproduktion liefere.

Schale „Mandy“, Fritz Keuchel, VEB Schwepnitz – ein
verlorener Standort
Der Betriebsrat verweist auf eine
130jährige manuelle Pressglasproduktion in Schwepnitz. Weiterhin betont
er, dass man den ineffizienten Werksteil in Kamenz „eliminiert“ habe,
aber für die guten Produktfelder der manuellen und
Schleuderglasproduktion vor Ort eine Zukunft sähe, wo eine umfassende
Innovation eingesetzt habe.
Im besonderen Fall der Lausitzer Glaswerke, die 1992 noch 350 von zwei
Jahre zuvor 1250 Beschäftigten hatten, führte Scheunert gegenüber dem
ihm vorgesetzten Vorstand an, dass die strukturpolitische Bedeutung des
Betriebes für die Region auch daran deutlich würde, dass das Land
Sachsen bereit sei, neben der Maximalförderung von 23 Prozent eine
Landesbürgschaft in Höhe von 15 Mio. DM zu gewähren und damit ein
Gesamtobligo von ca. 28 Mio. DM übernähme. Während der Treuhand-Direktor
also die Landesförderung positiv ins Feld führt, scheinen Bürgermeister
und Landräte mitunter auch Entwicklungspolitiken verfolgt zu haben, die
dem Bestand der angestammten Branche eher geschadet haben. (Beispiel
Weißwasser). Der Landrat von Weißwasser schrieb an den Treuhandvorstand:
Zitat - „Wir machen diese Hinweise, weil das Schicksal unserer Region
im starken Maße von den Arbeitsplätzen im Glasbereich abhängt. Es ist
aber nicht zutreffend, dass es eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen
der Lausitzer Glas AG und der kommunalen Seite gibt.“ Vermutlich sind
diese Reibungen auch auf die starke Stellung der früheren volkseigenen
Betriebe auf dem späteren Feld der kommunalen Verwaltung und Entwicklung
zurückzuführen. Auch lässt sich mutmaßen, dass die „alten
Generaldirektoren“ des Kombinats in der Transformation für die
Gebietskörperschaft schwierige Partner waren.
Hierin wird auch für die Glasindustrie ein unübersichtliches
Akteursgeflecht deutlich. Das Vorstandsmitglied Bernd Schmidt (?) der
privatisierten Ilmenauer Glaswerke AG betonte in der Rückschau auf die
Privatisierung des ehemaligen Ilmenauer Kombinatsstandortes, dass
dieser fälschlich liquidiert worden sei. Der Freistaat Thüringen habe
wettbewerbsverzerrend den Standort Schott Jena bevorzugt. Dies scheint aus
Ilmenauer Sicht ein Negativbeispiel der landespolitischen Einflussnahme
auf die Privatisierungspolitik gewesen zu sein. Mit genannten
Bürgschaften für Modernisierungsinvestitionen waren die Länder aber
wichtige Partner der mit Bundesmitteln arbeitenden Treuhand.
Die Unklarheit der Zuständigkeiten war für die neuen Betriebsleitungen
ein Problem. Zunächst wandten sie sich kurz vor der Wiedervereinigung
an die Ministerien der DDR. Die sahen sich nicht mehr zuständig und
verwiesen an die Treuhand. Ein weiteres Beispiel ist ein Antrag auf
Strukturhilfe des Werkes Schwepnitz an das DDR-Energieministerium, in
dem die Geschäftsführung erhöhte Stadtgasbezugspreise beklagte, an die
Treuhand weitergegeben. Dieser Überhang der alten DDR-Behörden in den
Treuhandakten ist von einiger Faszination. Die Eröffnungsbilanzen der
neuen GmbHs prüfte noch das Statistische Amt der DDR.
Der branchenübergreifende Befund der Altschulden der privatisierten
Betriebe lässt sich durch die spezifische Aktensichtung bestätigen und
unterlegen. Es gab in der Glasindustrie der späten DDR einen
Investitionsstau bei der technischen Modernisierung, der die anfänglich
„anlagenbedingt niedrige Produktqualität“ der Produkte der ostdeutschen
Glasindustrie im Jahr 1990 erklärt. Kosten, die als Devisengeschäfte
beim Kauf westlicher Maschinen den Betrieben in der späten DDR
entstanden waren, waren von den zentralstaatlichen Stellen als Schulden
gebucht worden und tauchten nun in den Bilanzen der GmbHs auf. Hatte zum
Beispiel ein VEB 400 Mio. Mark Gewinn nach Ost-Berlin abgeführt, wurde
aus den damaligen 200.0000 Mark Rückführungen die späteren Altschulden.
Das Werk Tschernitz war 1984 fast ausschließlich mit Importtechnologie
aufgebaut worden, die zu einem Umtauschwert von 1:5 hatten bezahlt
werden müssen.

Technisches Glas für Fernseher bis 2007
Ein Inbegriff für lange erfolgreiche Glasprodukte der DDR sind auch die
berühmten Superfest-Gläser aus Schwepnitz, über die demnächst vermutlich
auch ein Artikel des Zeit-Magazins berichten wird:

Superfest-Gläser, Entwürfe Jahny, Müller, Keuchel. VEB
Schwepnitz, seit 1980
Der westlausitzer Betrieb war berühmt für seine »Superfest“ Trinkgläser,
die von 1980 bis 1989
in einem patentierten Ionenaustauschverfahren in einer Stückzahl von
über 100 Million gefertigt. Sie sind der Inbegriff hohen
glastechnologischen Könnens und guten Designs in der DDR. Der in der DDR
als Glasdirektor tätige Dietrich Mauerhoff kritisierte die
„Liquidierung einer einzigartigen Technologie“ nach der »Wende«. „Glas
muss zu Bruch gehen!“ „Nur so stimmt der Umsatz“, schrieb Dietrich
Mauerhoff. Diese Einschätzung erweist sich allerdings als eine Polemik,
denn die Produktion war noch zu DDR-Zeiten eingestellt worden.
Ein Forschungsfund – Wettbewerb zwischen den Tätigkeitsgruppen,
Standorten und den Branchen
Der Branchenstolz war in der Glasindustrie aufgrund des Spezialistentums
vieler Tätigkeitsgruppen und der Hitzearbeit am Ofen traditionell
ausgeprägt. In Glashütte sind die kulturellen Unterschiede zwischen der
ländlichen Bevölkerung und den Glashüttenbelegschaft vielfach betont
worden.
Solche Differenzen sind von langer Dauer oder treten in Krisenzeiten zu
Tage. Im Zuge der Auflösung des Kombinates VEB Lausitzer Glas gerieten
die Betriebsteile und Belegschaftsgruppen zueinander in den Wettbewerb.
Dies zeigen Quellen zum Beispiel zur Transformationsgeschichte der
Bärenhütte in Weißwasser, die 1991 zunächst stillgelegt und 1992 mit
einer 49prozentigen Beteiligung der Treuhand teilprivatisiert worden
war:
Die Bleiglasschleifer der Bärenhütte wandten sich in einem Hilferuf an
Ministerpräsident Biedenkopf, bezeugten ihre Bereitschaft für den
Erhalt des Betriebes zu kämpfen und forderten Unterstützung und eine
baldige Antwort. Der Hintergrund war die Planung des neuen Managements,
die Schleifereiabteilungen im nahegelegenen brandenburgischen VEB
Glaswerk Döbern zusammenzufassen.

Schliffe des Glasschleifers Schade für die Bärenhütte
Die Döbener Kollegen wandten sich in anderer Angelegenheit nach Potsdam.
Die Betriebsratsvorsitzende schrieb an Arbeitsministerin Hildebrandt:
Zitat - „Da unser Unternehmen kein Geld hat, kann den Vorrentnern keine
Abfindung gezahlt werden. Der Betriebsrat der GWD GmbH bittet die
Landesregierung, sich dem aufgeworfenen Problem anzunehmen und
eventuell eine Lösung dieses Problems herbeizuführen.“
Ein vielleicht wenig solidarisches oder wenig klassenbewusstes Verhalten
scheint in einem Brief der Bärenhütte an die Treuhand durch, in dem u. a.
die Schleifer die Glasmacher kritisieren: Zitat - „Leider müssen wir Sie
heute über eine unerfreuliche Entwicklung informieren, nämlich eine
mangelhafte und nach 8 Wochen Heißbetrieb auf niedrigstem Niveau
stagnierende Produktivität der Glasmacher der Bärenhütte. Nach der
Wiederaufnahme des Heißbetriebs im August 1992, in dem westdeutsche und
ostdeutsche arbeiteten hieß es: „Die Westdeutschen sind
erfreulicherweise von den Kollegen in der Bärenhütte ausgesprochen
positiv aufgenommen worden, aber im Vergleich mit den Westdeutschen ist
das Arbeitsergebnis der Ostdeutschen vernichtend ausgefallen.
Westdeutsche produzierten 345 Stück Brutto pro Schicht, 100 Prozent,
Ostdeutsche 220 Brutto 64 Prozent. Weiter finden sich Angriffe der
Veredler auf die ostdeutschen Glasmacher, die schon zu DDR-Zeiten wie
die „Könige“ aufgetreten seien. Es wurden exemplarische Entlassungen
gefordert. Die Westdeutschen würden im Gegensatz zu den Ostdeutschen
ihre Schichtleistungen ansehen. Den ostdeutschen seien geänderte
Qualitätsanforderungen offenbar noch nicht bewusst.
In diesen Themenkomplex der Ressentiments und der Konkurrenz in einer
Phase großer Verunsicherung passt auch ein Schreiben einer privaten
Bleiglasschleiferei an die Treuhand, in dem die Politik der Lausitzer
Glas AG und deren Subventionierung kritisiert werden. Der offenbar schon zu
DDR Zeiten privat produzierende Schleifereibetrieb klagte über die
Bevorteilung des übermächtigen Mitbewerbers.
Der Betriebsteil Glaswerk Annahütte und seine Wirrungen in den frühen
1990er Jahren sind vor allem in Potsdamer Akten sichtbar geworden. Die Aufbruchstimmung, aber auch die auf allen Ebenen offenbar sehr
stressige Zeit wird deutlich, wenn der Annahütter Betriebsrat an die
Belegschaft appelliert: Zitat - „Wir haben es jetzt nach der Zustimmung
der Treuhand selbst in der Hand, ob das Unternehmen bleibt.“ Eine etwas
optimistische Einschätzung einer vermeintlichen Selbständigkeit, blickt
man auf, strenge und häufig auch sehr kurzfristige Forderungen der
Regionalbüros der Treuhand an die neuen Geschäftsführungen. Bereits ein
wenig desillusioniert wandte sich der Betriebsrat in einem Brief an
Ministerpräsident Stolpe und klagte über mangelnde Unterstützung durch
die Cottbuser Treuhandniederlassung. Zitat - „Im Interesse des Erhalts
der (291) Arbeitsplätze bitten wir Sie, Herr Ministerpräsident Stolpe,
bei der Treuhandanstalt, Niederlassung Cottbus, Ihren Einfluss geltend
zu machen. Mit der Schließung des Unternehmens ist auch der Ort
Annahütte gestorben.“

Die Werkssiedlung Annahütte
Es wäre sicherlich interessant den für die Glasindustrie zuständigen
Treuhand Direktor Scheunert zu interviewen. Eine Anfrage möchte ich
aber erst stellen, wenn ich seine Handakte eingesehen habe, die ich erst
vor einigen Tagen beim Bundesarchiv bestellen konnte. Detlef Scheunert
hat sich offenbar überdurchschnittlich für den Erhalt der Standorte
seiner Branche eingesetzt. In Treuhand-Berichten von 1992 ist eine auch
persönliche Betroffenheit des Direktors spürbar: Zitat - „Die
Unternehmen der Glasbranche befinden sich häufig in strukturschwachen
Gebieten mit extrem hohen Arbeitslosenquoten. Freigesetzte Mitarbeiter
finden dadurch keine neuen Arbeitsplätze mehr.“
Im Nachhinein hat Scheunert, der auch offen für Stellungnahmen in
jüngeren Fernsehdokumentationen war, Fehler eingestanden. „Wir haben zu
wenig die Lebensleistung der Menschen gesehen“. In der politisch
gebotenen Schnelligkeit der Privatisierung wurde „zu viel geholzt“.
Welche Betriebe bestehen heute noch? Gab es erfolgreiche
Privatisierungen?
Voraussetzung für die Privatisierung war in der politischen
Wirtschaftsphilosophie der Treuhand die Entflechtung. Die Kombinate
wurden zwar zunächst in AGs überführt und pro forma erhalten, aber
meist darauf aufgelöst. Die Lausitzer Glas AG wurde mit
Hauptversammlungsbeschluss im Herbst 1991 aufgelöst, was eine
entscheidende Voraussetzung für eine Entflechtung und
Einzelprivatisierung der Tochterunternehmen gewesen sein soll.
Der Standort Glaswerk Schwepnitz hatte eine besonders wechselhafte
Privatisierungsgeschichte. Er erlebte einen Management-Buyout und einen
Verkauf an Alteigentümer – das waren Walther Glas bzw. eine
Erbengemeinschaft. Im Rietschener Fall entschied sich ein
Anspruchsberechtigter für eine Entschädigung.
Viele Werke in den ehemaligen Bezirken Cottbus, Görlitz und Dresden
wurden stillgelegt. Erwähnt seien die Standorte: Heidemühl, Coswig,
Finsterwalde, Neupershain, Bad Muskau, Ottendorf, Bischofswerda,
Dresden, Radeberg, Radeburg, Neupetershain, Pirna-Copitz, Pirna,
Uhsmannsdorf.
Wie der Schwepnitzer Betrieb erlebte auch die schon erwähnte Bärenhütte
eine kurzzeitige Übernahme durch die aus dem polnischen Teil der
Oberlausitz stammende Dürener Firma Peill und Putzler. In Weißwasser
zeigte sich auch die Firma Süßmuth aus dem hessischen Immenhausen
interessiert an einem Betriebskauf. Süßmuth hatte ursprünglich im später
polnischen Piensk produziert, was andeuten mag, dass Kaufinteresse auch
regionalkulturelle oder gar psychologische Gründe gehabt haben mag. Die
Stärkung des Mittelstandes, als ordnungspolitisches Ziel der Treuhand
bzw. der damaligen Bundesregierung, scheint auch im Fall der
ostdeutschen Glasindustrie kaum gelungen zu sein. Dies lag vermutlich
auch daran, dass sich auch die westdeutsche Glasindustrie bereits in
einem Strukturwandel befand, Werke im Westen stillgelegt wurden und eine
Fusionierungsbewegung im Trend lag. Die Konkurrenz der traditionellen
Glasländer Polen und Tschechien u. a. durch den Europäischen Binnenmarkt
war groß. Die FAZ titelte 1994: „Zur Zeit verdient kaum jemand in der
Glasindustrie“.
Nach meinem Überblick gab es zur Treuhandzeiten bei meinen
Untersuchungsbetrieben zwei ausländische Investoren. Die in Langewiesen
im Thüringer Wald ansässige Thermos GmBH wurde von der Holding Thermos
Ltd. aufgekauft zu einem Kaufpreis von 2 Mio. DM. Die Verkäuferin, die
Glasring Thüringen AG, stellte Thermos Ltd. für zwei Jahre von
Produkthaftungsansprüchen frei.
Dies zeigt, dass der Käufer vor allem an den Patenten des
traditionsreichen Thüringer Betriebes interessiert war, die in
Bulgarien, Finnland, Italien, Polen, Schweiz, Rumänien, IR Marke,
Österreich, Ägypten, Ungarn, Marokko, Rumänien, Tschechi-en, Tunesien
und Jugoslawien lagen.
 |
 |
|
|
Treuhandanstalt – eine Verlust- und
Gewinngeschichte |
Auch das moderne Werk Tschernitz, das Fernsehkolben herstellte, fand in
Samsung einen ausländischen Käufer. Für die Rettung des Standortes
Tschernitz hat sich die brandenburgische Landesregierung stark
eingesetzt. Vielleicht können aus brandenburgischer Perspektive die
Glaswerke Tschernitz und auch Döbern als „industrielle Kerne“
bezeichnet werden, deren Definition kontrovers war, deren Bewahrung
grundsätzlich aber zu den Zielen auch der Treuhandanstalt gehörten. Das
Forschungsprojekt Wolfgang Knolls zur Geschichte der Treuhandanstalt in
Brandenburg beschäftigt sich mit den Leitbranchen wie „Interflug“, „Veritas“
in Wittenberge oder die „Braunkohleindustrie“ im ehemaligen
Energiebezirk Cottbus und hat zuletzt die Glasindustrie ausgeklammert.
 |
 |
|
|
Stölzle als letzter maschineller
Hohlglashersteller in Ostdeutschland |
Das Glaswerk Drebkau als einer der verbliebenen
Standorte der Behälterglasherstellung |
Flachglaswerke in Sachsen-Anhalt
Musealisierung der Industriestandorte:
Wir haben von den Beschäftigungsgesellschaften und ABM-Maßnahmen
gesprochen. Sie waren häufig mit dem Abbruch der alten Fabriken
beschäftigt waren. In einigen Fällen wie dem Museumsdorf Baruther
Glashütte konnten Arbeitsbeschaffungsmaßen die Rettung eines
Industriedenkmals ermöglichen. Gleichwohl das hiesige Glaswerk als
Filiale des VEB Glaswerk Welzow im Beleuchtungsglaskombinat bereits
1980 stillgelegt wurde, waren die Gebäude 1990 noch weitgehend im Besitz
der privatisierten SABRA, dem Nachfolgebetrieb des
Beleuchtungsglaskombinats. Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv
finden sich Quellen, die für einige Standorte der SABRA die Ansiedlung
von Sanierungsfirmen vorsahen. Diese Nutzung ist der Baruther Glashütte
erspart geblieben. Der damalige Verein Glashütte e. V. hat u. a. von der SABRA die Grundstücke gekauft und Nutzungsrechte von der Familie
Solms-Baruth erworben.

Glasmacher Christoph Hübner im Glasstudio im Museum
Baruther Glashütte
Auch in Weißwasser war ein Industriemuseum in der historischen
Gelsdorf-Hütte geplant, was sich aber nicht realisierte, weil die Stadt
nicht in den Zweckverband einsteigen wollte bzw. konnte. Das Glasmuseum
Weißwasser ist heute ein aktiver Kulturstandort in einer alten
Glasfabrikantenvilla, dessen Trägerverein aus ehemaligen Gestaltern,
Technikern und Arbeitern in der Glasindustrie besteht. Das Sammlungsgut
der Glasmuseen in Weißwasser und auch hier in Glashütte besteht
wesentlich aus Stücken und Inventar nach 1990 geschlossener Glasfabriken
[im Falle der Baruther Glashütte: Welzow, Großräschen, Schönborn,
Telux Weißwasser u. a.]. Die Rekrutierung der Museumsteams aus den alten
Belegschaften der DDR-Betriebe klingt in den Arbeitsgruppen in
Weißwasser durch: „AG Chronik“, „AG Gestalten“, „AG Aufbau
Gelsdorf-Villa“. Auch die Glas-Ausstellung in Ilmenau wurde von
ehemaligen Angehörigen des VEB Kombinat Technisches Glas aufgebaut. Der
ehemaligen Direktor Schmidt spricht heute von einem „Verein der alten
Männer“. In den Rietschener Treuhand-Akten findet sich das Konzept, die
Betriebskantine zu einer Großgastronomie umzubauen und unter der der
Firmierung „Niederschlesische Mundglashütte“ mit einer Schauschleiferei
touristisch zu nutzen. Auch die stark touristisch ausgerichtete
Glashütte Harzkristall in Derenburg ist in diesem Zusammenhang zu
erwähnen.
Schluss-Ergebnisse:
Die Treuhandgeschichte scheint mir in unseren brandenburgischen und
sächsischen Museen unterbelichtet zu sein. Dagegen soll das Kalimuseum
in Bischofferode ein Ort zeitgeschichtlicher Erinnerung sein. Es ist
stark im Blick ehemaliger Gewerkschafter und gilt auch als
erinnerungspolitisches Instrument von Ministerpräsident Ramelow. Diese
kursorische Darstellung scheint mir Forschungsergebnisse aus
Überblicksdarstellungen weitgehend zu bestätigen. Es gibt auch mit dem
Fokus auf die Glasindustrie keine Mastererzählung zur Treuhand und ihren
Erfolgen und Misserfolgen. Das Wirken der Treuhand muss vielmehr
differenziert betrachtet werden. Viele Akteure waren verantwortlich und
auch Landesregierungen, Kommunen, Landkreise wie auch die Gewerkschaften
haben Fehler gemacht und Erfolge verbucht. Das Dickicht der Quellen
lässt eine längere konzentrierte Analyse wünschenswert erscheinen.
Bereits die schlaglichtartige Sichtung machte, denke ich, deutlich, dass
Funde gemacht werden können, die auch von technik- und
sozialhistorischem Interesse sind, weshalb ich Fachkollegen und auch
interessierte Laien nur ermuntern kann, den durchaus freien Zugang zu
den Treuhandbeständen auch für eigene Forschungen zu nutzen.
Die betriebliche Mikroebene wird allein durch Treuhandakten nicht klar
zu fassen sein. Die individuell-psychische Belastung und die persönliche
Verlustgeschichte der Glaswerker müssten weiter recherchiert werden.
Manch einer konnte die Zumutungen der so genannten Transformationszeit
nicht überwinden und verlor buchstäblich sein Leben oder die Kontrolle
darüber, wie wir von einem Glasgestalter wissen.
Die gegenwärtige Corona-Krise wird als größte Herausforderung für
Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg beschrieben. Die dramatische
Anpassungsrezession, von der die ostdeutschen Betriebe betroffen waren
und an die wir mit der Sonderausstellung erinnern wollen, hat sich in
das kollektive Gedächtnis der Ostdeutschen im allgemeinen und der an
isolierten Industrieorten arbeitenden Glaswerker im Besonderen
vermutlich stärker eingeprägt als es »Corona« tun wird. Der
industrielle Sektor hatte in Brandenburg in der DDR einen Anteil von 60
Prozent. Diese Quote verringerte sich drastisch ab 1990. Dennoch kann,
auch mit Bezug auf die Glasindustrie, nicht von einer völligen
Deindustrialisierung gesprochen werden.
Dennoch kann auch mit Blick auf die Entstehung des Museumsdorfes nicht
nur von Misserfolgen und Belastungen gesprochen werden, da mit der
Treuhand im Gefolge der Deutschen Einheit auch dieser Kulturort mit
Galerie, Museum und Glasstudio entstehen konnten.
Dank an die Förderer, Dank an das Auditorium: Landesbeauftragte zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur, Heimatstiftung Museumsdorf Glashütte und
Landkreis Teltow-Fläming
Quelle:
MVGB, im
Oktober 2020