Corona: Krise in Böhmens Glasindustrie
Die Produktion bei den Unternehmen ist um ein Drittel zurückgegangen,
der Umsatz geht gegen Null.
Von Petra Laurin
Erst der Schreck im Frühjahr, dann ein kurzes Aufatmen im Sommer,
gefolgt von einer zweiten Welle der Corona-Epidemie mit erneuter
Schließung fast aller Geschäfte, der Absage von Weihnachtsmärkten und
kulturellen Veranstaltungen, dazu Reiseverbote für Deutsche und andere
EU-Bürger. Für die nordböhmischen Glas- und Bijouterie-Erzeuger war 2020
ein schlimmes Jahr. Inzwischen kämpfen die meisten mit aller Kraft ums
Überleben.
Ihr Problem: Schmuck und Glaswaren können sie, außer im Internet,
nirgendwo präsentieren und anbieten, die Leute sparen auch mehr, heißt
es. „Bijouterie und Glas verkauft sich nicht gut über den Online-Handel.
Jeder will zuerst ausprobieren und sehen, was ihm steht“, sagte Pavel
Kopáèek, Vorsitzender des Verbandes der Glas- und Bijouteriehersteller (SVSB).
Der Verband vertritt 60 Firmen mit rund 4.000 Beschäftigten.
Keine andere Krise habe die Branche bisher so schwer getroffen wie
Corona. Die Erzeugung sei auf ein Drittel gesunken, die Umsätze liegen
bei Null. Die Angst vor der Zukunft prägt die Stimmung.
In der Produktionspalette konzentrierten sich die Unternehmen bislang
vor allem auf den Export. Der Handel mit den wichtigsten Weltmärkten sei
durch die Corona-Krise aber fast ganz unterbrochen worden. Die Ausfuhr
bewege sich bei 15 Prozent des gewöhnlichen Umfangs. „Alle geplanten
Events – in Russland, Österreich oder auch in Dresden – wurden
abgesagt“, sagt Pavel Kopáèek. Bis jetzt konnte sich die künstlerisch
orientierte Branche dank der staatlichen Unterstützung im Rahmen des
Programms „Antivirus“ trotz minimaler Verkäufe und Auftragsverluste über
dem Wasser halten. Ohne die Hilfe wäre wohl schon viel weggebrochen.
„Der einzige kleine Vorteil ist, dass viele Unternehmen in ihren eigenen
Häusern und Geschäften tätig sind“, fügt Kopáèek hinzu. Obwohl die
Firmen nicht verkaufen können, wollen sie ihre ausgebildeten Handwerker
vom Fach nicht entlassen. Sie wissen gut, dass sie nur schwer einen
Ersatz finden würden.
Weihnachtsmarkt ungewiss
Die Schmuckherstellung hat im Isergebirge eine mehr als 200-jährige
Tradition. Der letzte große Schlag für sie war die Pleite der Firma
Jablonex. Die Gesellschaft wurde 1951 als erste Exportfirma für alle
tschechischen Schmuck-Produzenten gegründet. Der größte Exporteur
Böhmens hatte 2.000 Mitarbeiter und belieferte fast alle
Herstellerfirmen im Land mit Rohstoffen. Rund 80 Prozent der Produktion
wurden in 93 Länder der Welt exportiert. Die meisten Geschäfte wurden
mit Amerikanern gemacht, Kunden saßen aber auch in Mexiko oder Russland.
Noch 2007 erwirtschaftete die Firma einen Umsatz von 2,2 Milliarden
Kronen (damals über 87 Millionen Euro), der Gewinn lag bei 100 Millionen
Kronen. Dann kam das Aus, wobei die Glasschmuckproduktion (Bijouterie)
damals Arbeit für 27.000 Menschen bot.
Der Zusammenbruch der Exportfirma bedrohte vor allem kleine und mittlere
Firmen, die sich aus der Not heraus zum Bijouterie-Verband
zusammenschlossen. Der Bijouteriepalast mit Schmuck, Glas, Leuchter und
Weihnachtsdekorationen in Jablonec (Gablonz) nahe der Talsperre, ein
Warenhaus für Geschäftsleute, einheimische Kunden und Touristen, ist
seit 14. Oktober geschlossen. „Ob wir zwischen 11. und 13. Dezember
einen Weihnachtsmarkt veranstalten können, weiß niemand“, sagte Kopáèek.
Allerdings hat Tschechien die Beschränkungen vor wenigen Tagen
gelockert. Sogar Weihnachtsmärkte seien erlaubt. In Liberec
(Reichenberg) läuft bereits einer. Die Covid-19-Infektionszahlen im
Nachbarland sind weiter hoch, pendeln laut Radio Prag bei etwa 5.000
neuen Fällen täglich. Menschen aus Sachsen sollen aber weiter nicht ins
Nachbarland reisen, heißt es von deutscher Seite.
Die Glasproduzenten sind wohl weiter auf Hilfe angewiesen. Die bekommen
sie auch von der Liberecký kraj (Verwaltungsregion). Sie hat eine Serie
von 46 kurzen Filmen produzieren lassen, mit denen sich Firmen, Museen
und Kunstgewerbeschulen im Internet unter der Adresse
www.nazrdavíremeslu.cz – „auf Deutsch „Zum Wohle des Handwerks“ –
präsentieren. „Die Menschen können sich dort vor Weihnachten inspirieren
lassen“, sagt David Pastva, Manager der Geschäftsmarke „Kristalltal“.
Die war ursprünglich im Besitz vom Unternehmen Preciosa. Die Region
Liberec übernahm sie 2019 mit der Absicht, ihre Position im Bereich
Tourismus mit traditionellen Themen, nämlich Glas und Schmuck, in der
Region zu stärken.
Das Glas- und Bijouterie-Museum in Jablonec nad Nisou steht eher
skeptisch zum virtuellen Kulturleben. „Eine solche Besichtigung kann
Besucher anlocken, aber keinen richtigen Besuch ersetzen“, meint
Hauptkurator Petr Nový. Vor Kurzem eröffnete das Museum zwei neue
Ausstellungen nur mit Pressevertretern, ganz ohne sonstige Gäste. Die
erste heißt „Reflexion“ und präsentiert die Werke von ausländischen
Glasmachern, die in Tschechien wirken. Die zweite, „Jahrzehnt des
Designs“, dokumentiert die Entwicklung in den Museumssammlungen der
letzten zehn Jahre. Beide Schauen sind Bestandteil einer Internationalen
Triennale. Bei dieser Gelegenheit wurde im neuen Park beim
Glaskristall-Anbau ohne Zuschauer eine neue Plastik von Marian Karel
enthüllt.
Quelle: Sächsische Zeitung, Ausgabe Weißwasser, vom 08. Dezember 2020
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Böhmens
Glashersteller kämpfen mit den Corona-Folgen.
© kraj-lbc |
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